In memoriam Pater Frans

 

Pater Frans Maertens, der erste Pfarrer unserer Gemeinde, kam nach vielen turbulenten Jahren seines Lebens zu uns nach Kuppingen.

 

Er wurde als Ältester von 8 Kindern in Belgien geboren. Sein erster Berufswunsch war Radrennfahrer. Aber nach dem Abitur studierte er dann doch Theologie und trat in den Orden der Missionsgesellschaft CICM in Brüssel ein, wurde zum Priester geweiht und ging 1947 als Missionar nach China.

 

Zunächst in Peking – ab 1949 in der Inneren Mongolei in Hara Sjili – fand er ein reiches Betätigungsfeld. Auf dem Rücken eines Pferdes von Jurte zu Jurte, ein unbeschreibliches Erlebnis von Freiheit!

Dieses Gefühl begleitete ihn sein ganzes späteres Leben. Umso bitterer war dann die Besetzung der Mongolei durch die Chinesen und seine Gefangennahme.

Aber seine mongolischen Freunde befreiten ihn und einige Monate konnte er noch in der mongolischen Weite Unterschlupf finden. Dann brach das Unglück über ihn herein. Seine Befreier und er wurden gefangen genommen.

Seine Freunde wurden sofort erschossen. Er selber war ca. ein Jahr in schwerer Einzelhaft, durfte sich nicht an eine Wand anlehnen, sondern musste immer stehen oder sitzen, und 24 Stunden am Tag wurde ihm sein „Sündenregister“ vorgelesen. Mehrmals holte man ihn zur Erschießung ab. Ihm wurden die Augen verbunden, und es wurde dann geschossen. Danach brachte man ihn wieder in seine Zelle zurück. Diese Zeit hinterließ ihre Spuren und eine tiefe Sehnsucht nach seiner mongolischen Gemeinde.

 

Durch viele Petitionen gelang es dann schließlich, ihn zurück nach Belgien zu holen. Lange Zeit konnte er dann keine Bindung in Brüssel aushalten.

Eine Stelle in der Normandie half ihm über vieles hinweg. Aber auch da war seine Tätigkeit nach 4 Jahren abrupt beendet. In seiner Gemeinde brach bei den Kühen die Maul- und Klauenseuche aus. Auch die Nachbargemeinden waren  betroffen, und dem Tierarzt ging das Serum aus. Kurz entschlossen fuhr Pater Frans nach Belgien und besorgte den Impfstoff. Da der Tierarzt sich weigerte, damit die Kühe zu impfen, krempelte Pater Frans die Ärmel hoch, impfte die Kühe selber und rettete so den Viehbestand. Natürlich zeigte der Tierarzt ihn an, es kam zur Gerichtsverhandlung, und Pater Frans wurde zur unerwünschten Person erklärt und des Landes verwiesen.

 

Seine nächste Station war die Kapellenwagen-Mission von Pater Warenfried van Straaten, der mit ausgebauten Lastwagen im „kaputten“ Deutschland überall dort haltmachte, wo Gläubige ohne Kirchen lebten. Auch hier in unseren Gemeinden waren sie zu Predigten, Gottesdiensten und Katechese für Kinder, Jugendliche, Männer und Frauen – jeweils getrennt, wie es damals üblich war. Die Wagen standen auf Dorfwiesen und mussten oft nach Regen aus dem Morast gezogen werden. Da kam ihnen der starke Pater Frans gerade recht.

Bei einer solchen Fahrt lernte er Herrenberg und Umgebung kennen, und Pfarrer Zettier nahm ihn als Kurat für seinen Kirchensprengel auf. Hier begann dann seine Geschichte in unserer Kirchengemeinde.

 

Zuerst fand er Quartier in einem der ältesten Häuser in Kuppingen. Kein einheimischer Geistlicher wäre in diese Bruchbude gezogen. Schon bald fand er Freunde in der Gemeinde. Maria Prinz half ihm, mit der deutschen Bürokratie zurechtzukommen. Auch um sein leibliches Wohl kümmerten sich Familie Prinz und viele andere.

 

Endlich wusste er, wo er zu Hause war. Über 20 Jahre war er mit unermüdlichem  Einsatz unser Pfarrer, doch erst in den letzten Jahren seines Wirkens wurde für ihn eine Pfarrstelle geschaffen. Vorher war er nur Kurat oder „Kuh-Rat“ wie er zu sagen pflegte. Eine für ihn schwer verständliche Personalpolitik.

 

In dieser Zeit feierte er mit uns sein 25-jähriges und sein 40-jähriges Priesterjubiläum. Immer wieder kamen fremde Geistliche zu Besuch, lernten hier Deutsch und blieben im Dienste der Diözese. Seine Gastfreundschaft war einmalig. Wir alle waren zu jeder Zeit willkommen. Er hatte ein Ohr für die Nöte seiner ihm anvertrauten Gemeindemitglieder.

 

Fünf seiner Brüder waren ebenfalls als Priester in verschiedenen Funktionen im Ausland tätig. Drei kamen nach Deutschland, als sie im Kongo nicht mehr sein durften, später kam auch der vierte aus Guatemala hierher. Aber auch viele seiner Mitbrüder aus dem Orden kamen über Kuppingen in unsere Diözese. Hier war fast schon eine Dependance aus Brüssel. Und bei fast allen Aktionen stand ihm Maria Prinz zur Seite, Oma Prinz kochte, und Opa Prinz verzichtete auf viele ruhige Stunden.

 

Unsere damals eigentlich ziemlich abgeschiedene Gemeinde war unversehens Dreh- und Angelpunkt. Bischof Onyembo und der Außenminister aus dem Kongo, die Leitung seines Ordens, Inspektoren aus Brüssel - alle fanden Aufnahme im Pfarrhaus.

 

Für soziale Brennpunkte wurden Veranstaltungen und Bazare abgehalten. Elfenbein, geschnitzte Tische, Malachit, Ölgemälde und Speere aus dem Kongo wurden verkauft, aber auch Waren aus Guatemala waren zu haben.

 

Unsere arme Gemeinde bekam aus Belgien u. a. Messgewänder, Messdienergewänder, ein Harmonium und Krippenfiguren geschenkt, und eines Tages kam Pater Frans mit einem „Himmel“ für Fronleichnam wieder.

 

Die ersten Dreikönigssänger kamen Ende der 60er-Jahre aus Kuppingen. Karneval für Groß und Klein im Gemeindesaal  waren uns lange in Erinnerung. Nikolaus - das Fest der Kinder und Martinsumzüge mit richtigem Pferd - fanden jedes Jahr statt. Und immer wieder fuhren Pater Frans und Maria Prinz unermüdlich Kinder aus den Nachbarorten der Gemeinde hin und her, egal, ob es Nebel oder Glatteis gab.

 

Eine besondere Freude war für ihn der Kirchbau in Nufringen. In der Mongolei scheiterte die Verwirklichung des Kirchbaus. Bohlen und Bretter waren schon geliefert, als die Chinesen einrückten. Nun wurde sein Traum von einer Marienkirche wahr.

 

Im Gäu war Pater Frans kein Unbekannter. Mein Fahrlehrer in Herrenberg warnte uns vor seinem unkonventionellen Fahrstil. Wer fuhr denn auch schon wie er mit einem Heer von Schutzengeln?

 

Das Tragen eines Anzuges mit Krawatte, wie damals bei Geistlichen üblich, war ihm nicht wichtig, deshalb wurde er von einigen seiner Gemeindeschäfchen getadelt. Von vielen evangelischen Christen im Gäu wurde er wegen seiner spontanen Zugewandtheit und Herzlichkeit sehr geachtet und geschätzt.

Manch einer meckerte über seine Predigten. Als ich einmal meinte, dass heute seine Gedanken hochtheologisch waren, kam eine etwas bittere Antwort: ,,Es hört doch keiner zu.“ Er litt an der Kritik an seiner Person, und sein „Outfit“ war seine Antwort. Wer wusste, dass er 13 Sprachen sprechen konnte? Dass er sehr wohl in der Lage war, seine Intelligenz richtig einzusetzen? Wer wusste, wie sehr er unter den Nachwirkungen seiner Erlebnisse in China zu leiden hatte? Selbst seine Hoffnung auf eine Bleibe im Alter blieb ihm schließlich verwehrt. Er war hier zu Hause! In Brüssel waren längst jüngere und fremde Brüder in der Ordensleitung. Wo sollte er hin, als er sterbenskrank war? Und wo sollte er wohnen, als er seinen Pfarrdienst nicht mehr versehen konnte, als er nicht mehr sprechen konnte und versorgt werden musste wie ein Kind?

 

Nachdem Maria Prinz ihre Eltern gepflegt hatte und eigentlich ein Recht auf Selbstentfaltung für sich hätte beanspruchen können, nahm sie ihn in ihr Haus und pflegte ihn bis zu seinem Tod. Die Gemeinde hat das als selbstverständlich angesehen, aber war es das auch? Manch einer half, wo er konnte. Denen sei Dank – wenigstens einmal an dieser Stelle. Und vor allem dem neuen Pfarrer der Gemeinde, Slavko Majic, der Pater Frans und Maria ein guter Freund und Helfer wurde. So konnte Pater Frans sein Leben in Gottes Hände legen. Er hat Frieden gefunden.

Wenn ich an seinem 1975-xx-xx-MPN-Pater Frans Maertens (Jahr geschätzt)Grab stehe, weiß ich ganz sicher, dass wir auch weiterhin einen Fürsprecher für all unsere Sorgen im Himmel haben.

 

 Marlene Burckardt